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Nichtlineare Phänomene - der Betrachter ist im Bild

Interview mit Matthias Moravek – Miriam Bers für Axel Obiger

1. Matthias Moravek, _Tipi_, Öl_Leinwand, 120 x 95 cm, 2020.jpg

Matthias Moravek, "Tipi", Öl/Leinwand, 120 x 95 cm, 2020

Miriam Bers: Naturabbildungen, der Dschungel, die Wüste, Wolkenformationen, Gorillas oder menschliche Figuren, in nicht immer kongruenten Größenverhältnissen assoziieren Bildmaterial aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Du ‚spielst’ mit idyllischen auch exotischen Motiven, die immer wieder auch finstere bedrohliche Szenarien, Zitate aufweisen - Abenteurer aus ‚alten’ Zeiten, kulissenhaft organisierte Fragmente kolonialistischer Territorien.

 

M.B. Was inspiriert Dich, woher stammt Dein Ausgangsmaterial? 

 

Matthias Moravek: Einige wesentliche Bezugspunkte und Themenbereiche hast du jetzt bereits genannt. In der Tat sind Reiselithographien, Dioramen oder Panoramen wesentliche Bezugspunkte für meine Arbeit, da sie einen forschenden, entdeckenden, aber auch konstruierenden und arrangierenden Blick auf die Welt beinhalten. Anti-Schnappschüsse im besten Sinn gewissermaßen. Denn tatsächlich geht es mir um einen bildnerischen Nachbau von Naturräumen, die das Kulissenhafte in sich tragen und ihre Konstruktion offen legen. 

 

M.B. Die von Dir eingesetzten Perspektiven, Farben und Elemente aus dem Comic ermöglichen dann aber keine lineare Betrachtungsweise / Lektüre? 

 

M.M. Dass sich am Ende keine lineare Betrachtungsweise ergibt halte ich für wesentlich. Ich suche meist nach einem Zustand zwischen Auslesbarkeit und Verrätselung.

Allen Motiven gemein ist vermutlich, dass es sich um scheinbar bekannte, fast archetypische Figuren und Situationen handelt. Oft auf den zweiten Blick kommen dann Elemente oder Bildräume dazu, die nicht mehr ganz so klar auslesbar sind und dem Betrachter den sicheren Boden wieder entziehen. Tatsächlich habe ich im Laufe der Zeit einen immensen Fundus an Bildmaterial gesammelt, teils in tatsächlichen Archiven teils als Kopfkino.

 

Oft handelt es sich dabei am Beginn des Arbeitsprozesses nicht um konkrete Bildmotive sondern um abstrakte Ideen oder Situationen, aus denen sich dann auch figurative Elemente ergeben. Diese geben dem Bildraum eine Dimension und laden ihn inhaltlich auf. Es geht also quasi um eine Verdinglichung des Abstrakten.

Tatsächlich versuche ich bei der Arbeit an einer Bildidee, die Grenzen der Darstellbarkeit eines bestimmten Bildraumes auszuloten: So etwa das visuell kaum fassbare, auf den ersten Blick unstrukturierte und chaotische All-Over eines Regenwalds oder die Weite eines Himmels. Beide sind für mich als bildnerischer Raum gleichzeitig voll und leer und lassen immensen Raum für eine künstlerische „Erfindung“, die weit über das Abbildhafte hinausgeht und für mich gerade in der Malerei Sinn macht.

2. Matthias Moravek, „Sign“, 40 x 30 cm, 2018, „Trapez“, 80 x 80 cm, 2019, Ausstellungsans

Matthias Moravek, „Sign“, 40 x 30 cm, 2018, „Trapez“, 80 x 80 cm, 2019, Ausstellungsansicht „Menagerie“, Galerie Greulich, Frankfurt/Main, 2020

M.B. Auffällig sind die Freistellen, Auslassungen, die oft die Körper, Figuren darstellen – ganz in Weiß im Gegensatz zu Deinem sonst sehr expressiven Farbauftrag. Ich denke an Körper ohne Identität, also Stellvertreter, oder an Anonymität, oder an Fotografie, die beim Entwickeln frühzeitig belichtet wird. Was bedeuten sie? 

 

M.M. Tatsächlich war die ursprüngliche Idee hinter den „Leerstellen“, also der grundierten weißen Leinwand, eine bildtheoretische Fragestellung, nämlich die, etwas in einem Bild zu zeigen ohne es zu malen. Am Beginn stand dabei unter anderem ein Werkzyklus zur deutschen Kolonialgeschichte, bei dem diese Freiflächen dann häufig als Abwesenheit des Personals und die Malereien sozusagen als „Nachbilder“ gedeutet wurden, wie man sie mit geschlossenen Augen sieht. Beides finde ich  plausibel. 

Tatsächlich sind aber diese Leerstellen nicht die einzigen freigelegten Schichten, denn letztendlich lasse ich aus jedem Arbeitsschritt einen Bereich stehen. Mir ist dabei wichtig, dass in einer Arbeit so die unterschiedlichen Ebenen ihrer Bearbeitung wie in einem Index sichtbar werden. 

Das Anlegen der auszusparenden Stellen zwingt mich im Laufe des Arbeitsprozesses immer wieder zu Festlegungen und zur Präzision was für mich im Kontrast zu den freien abstrakteren Malereischichten von Bedeutung ist. 

Im Ungefähren präzise zu sein darum geht es für mich in der Malerei.

3. Matthias Moravek, _Manège_, _Artiste_, _Jonglage_, je 50 x 40 cm, 2019.jpg

Matthias Moravek, "Manège", "Artiste", "Jonglage", je 50 x 40 cm, 2019

M.B. Mit welchen Techniken arbeitest Du? 

 

M.M. Bei den Bildern handelt es sich hauptsächlich um Öl und Sprühfarbe auf Leinwand.   

Tatsächlich benötige ich den spröden Widerstand des Materials, um zu Ergebnissen zu kommen, die für mich als Malerei funktionieren. Die Haptik der Oberfläche gehört für mich essentiell dazu, übrigens ein Aspekt, der natürlich in der fotografischen Reproduktion meist völlig verloren geht. Schon vor längerer Zeit habe ich festgestellt: Je länger ich Zeit vor glatten und interaktiven Oberflächen verbringe, umso mehr schätze ich die spröde Materialität der Malereioberflächen.

Tatsächlich denke ich die Arbeiten stark aus der Farbe heraus. Ich versuche seit Jahren, ein wirklich dunkles und düsteres Bild zu malen, es gelingt mir jedoch nie. 

 

Die Skulpturen entstehen größtenteils aus Materialien, die sowieso im Atelier verfügbar sind wie Leinwandreste oder Holzstücke die nicht mehr gebraucht werden. Die farbige Bearbeitung entspricht dann der der Leinwandbilder, wobei diese bei den Skulpturen einen noch stärker abstrahierten und weniger motivbildenden Charakter hat.

 

M.B. Wann setzt Du Sprühfarbe in Deinen Arbeiten ein und was bewirkt sie? 

 

M.M. In der Tat verwende ich auch Sprühfarben, jedoch vermutlich weniger, als es zunächst vielleicht den Anschein hat. Oft sprühe ich über getrocknete pastose Ölfarbe und schleife den Lack dann wieder partiell ab, so dass nur eine Spur bleibt. Oder ich setze ihn für gezielt angebrachte, aber beiläufig wirkende Spitzer ein, so als ob im Raum daneben etwas lackiert worden sei. Für mich sind diese Spuren eine Art Pentimenti des 20./21. Jahrhunderts.

 

M.B. Deine Skulpturen sind weniger figürlich als die zweidimensionalen Werke. Liegt es am Material das Du einsetzt? Sind sie vielleicht - fragmentarische - Fortführungen Deiner Wandarbeiten?

 

M.M. Ja, das stimmt, tatsächlich entstehen die Skulpturen meist aus Ideen, die bereits in den Wandarbeiten auftauchen, die ich jedoch in der zweidimensionalen Form nicht genügend ausformulieren kann. Für mich sind die Skulpturen genauso figürlich und abstrakt wie die Wandarbeiten auch. Da das Motivische  und der Bildraum allerdings wegfallen sind sie vielleicht etwas schwerer auslesbar.

4. Matthias Moravek, _Ohne Titel_, Öl, Leinwand, Metall, 90 x 20 x 12 cm, 2018.jpg

Matthias Moravek, "Ohne Titel", Öl, Leinwand, Metall, 90 x 20 x 12 cm, 2018

M.B. Ich komme noch einmal auf das Reisen zurück. Die Kunst des Reisens. Covid-19 verändert unsere Perspektive und ersetzt das Physische durch beispielsweise digitale Reisen. Blaise Pascal schreibt in seinen Pensées: ‚Das ganze Unglück der Menschen rührt aus einem einzigen Umstand her, nämlich dass sie nicht ruhig in einem Zimmer bleiben können.’ Wie siehst Du diese Aussage in Bezug auf unsere technisch hochentwickelten und nunmehr pandemischen Zeiten? 

 

M.M. Tatsächlich würde ich zumindest Bildende Künstler von dieser Pascalschen Aussage etwas ausnehmen. Die Arbeit im Atelier ist ja gerade ein Reisen im Kopf. Wir verbringen Stunden, Tage, Wochen und Monate mit einer Arbeit in einem meist abgeschlossenen Raum. Andererseits brauche gerade ich das tatsächliche, physische Reisen um mein Kopfkino anzureichern und mich an Grenzen zu bringen, deren Erfahrung ich dann wieder im Atelier nutzen kann. Diesbezüglich fühle ich mich allerdings gerade in einer recht komfortablen Situation, ich habe so viel geistiges Material angesammelt, dass ich erst mal für eine längere Zeit arbeiten kann ohne, dass sich der Film wiederholt.

 

M.B. Aktuell hast Du eine Einzelausstellung in der Galerie Greulich in Frankfurt. Wie habt Ihr das aktuelle Dilemma einer Show in einem geschlossenen Ort gelöst? 

 

M.M. In der Tat war das sowohl für mich, als auch für die Galerie eine neue Erfahrung: eine Ausstellung zu installieren, ohne zu wissen, wann diese jemals im Original gesehen werden wird. Trotzdem war es uns wichtig, die von uns konzipierte Ausstellung auch physisch zu installieren, um eine Interaktion zwischen den Arbeiten zu ermöglichen. Zudem wurden wir dazu gezwungen, neue Wege in der Vermittlung zu gehen. So haben wir etwa ein Video produziert, das die Ausstellung ganz gut vermittelt und das wir teils auch als Videobotschaft verschickt haben. Das hat inzwischen eine enorme Reichweite bekommen und so haben mittlerweile auch viele Menschen einen Eindruck von der Ausstellung bekommen, die es bisher noch nicht nach Frankfurt in die Galerie geschafft haben.

Insofern also erstmal ein positives Fazit.

Ausstellungsrundgang "Menagerie", Galerie Greulich, Frankfurt/Main, 2020

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